Akustik für einen leisen Fahrzeuginnenraum

Latest Comments

Es sind keine Kommentare vorhanden.

— Von der Absorptionsmechanik über Thinsulate (3M) bis zum Mazda‑Beispiel zur Reduktion von Reifengeräuschen —

Einleitung

In den letzten Jahren ist die Geräuscharmut im Fahrzeuginnenraum zu einem entscheidenden Komfortmerkmal geworden. Während Motorgeräusche abgenommen haben und Elektrofahrzeuge zunehmen, treten Reifengeräusche (Das Dröhnen der Reifen, mit hohem Tieffrequenzanteil) stärker in den Vordergrund. Dieser Beitrag erläutert in dieser Reihenfolge: ① die Theorie der Schallabsorption, ② das Hochleistungs‑Absorbermaterial Thinsulate, ③ ein Fallbeispiel von Mazda zur Reduktion von Reifengeräuschen.

① Mechanismus der Schallabsorption — Beziehung zwischen Partikelgeschwindigkeit und Schallpegel

1) Was ist Schall? Und Thema „Energiedissipation“

Schall ist eine Longitudinalwelle aus Verdichtungen und Verdünnungen der Luftteilchen. Absorbermaterialien wandeln die kinetische Energie der Teilchenbewegung durch Viskositätsreibung und Wärmeleitung in Wärme um – die Energie wird dissipiert. Anschaulich ist das wie bei Wellenbrechern aus Tetrapoden an der Küste: Sie senden keine Gegenwelle aus, sondern zerstreuen und dämpfen die Wellenenergie, bis das Meer ruhiger wird.

2) Stehende Welle an der starren Wand und die Viertelwellenlänge

Trifft Schall auf eine starre (rigide) Wand, entsteht eine stehende Welle. Dabei gilt:

  • Am Wandpunkt: Schallpegel Maximum, Partikelgeschwindigkeit Null (Geschwindigkeitsknoten).
  • In einem Abstand von (\lambda/4) von der Wand: Geschwindigkeitsbauch (Partikelgeschwindigkeit maximal), Schallpegel Minimum.
[Theorie: Stehende Welle (Fahy, Foundations of Engineering Acoustics)]

Daraus folgt: Platziert man poröse Absorber dort, wo die Partikelgeschwindigkeit groß ist, wird die Absorption maximiert. Für Ziel­frequenz (f) und Luftspalt (d) gilt näherungsweise.

3) Weiche Wand/freies Ende: laufende Welle (gleichphasig)

Ist die Wand weich oder fehlt eine Begrenzung, dominiert die laufende Welle; Schallpegel und Partikelgeschwindigkeit sind gleichphasig. Die klare (lambda/4)-Verschiebung der stehenden Welle tritt nicht auf. 

[Theorie: Vergleich zwischen starre (rigide) Wand und weiche Wand]

4) Dreidimensionale Betrachtung und Z‑Richtung

In einem nahezu diffusen Feld wie dem Fahrzeuginnenraum wird in der Z‑Richtung (Höhe) bei tiefen Frequenzen die Partikelgeschwindigkeit klein. Maßnahmen, die in Z‑Richtung wieder Geschwindigkeit erzeugen, sind daher für die Tieffrequenzabsorption zentral. 

5) Tieffrequenz gezielt adressieren – Zweischicht‑Konzept

Tiefe Frequenzen haben große Wellenlängen; die reine Dickenzunahme eines Absorbers ist oft unrealistisch. Wir nutzen daher Masse–Feder–Dämpfung‑Systeme, die Partikelgeschwindigkeit erhöhen und Dissipation auslösen. Beispiele:

  1. Poröses Material + Lochplatte: Luft im Loch = Masse, Luftspalt dahinter = Feder, poröses Material = Dämpfung.
  2. Akustik‑Tile: viele kleine Resonatoren → breiterer Wirkbereich.
  3. Helmholtz‑Resonator: Halsluft = Masse, Hohlraum = Feder; gezielte Tieffrequenz.
  4. Plattenabsorber: Platte = Masse, Luftspalt = Feder; flächenhafte Absorption.

Allen gemeinsam ist: Resonanz erzeugt Geschwindigkeitsmaxima, die Dämpfung wandelt die Energie in Wärme.

[Design: Zweischicht‑/Resonanz‑Konzepte (Masse–Feder–Dämpfung)(Thompson, Noise and Vibration Control I, ISVR lecture note, University of Southampton)]

② Thinsulate (3M)— hohe Absorption durch Mikrofasern

Thinsulate (3M) besteht aus sehr feinen Polyesterfasern:

  • Große spezifische Oberfläche → mehr Kontakt zur Luft → höhere viskose Verluste.
  • Hohe Porosität → größerer Strömungswiderstand und thermische Verluste im Material.

So erzielt Thinsulate dünn und leicht eine hohe Absorption im Mittel‑/Hochfrequenzbereich – ideal etwa für Himmelverkleidung oder Türinnenbereiche. 

3M Thinsulate – Einsatzbeispiele

③ Fallbeispiel Mazda — Reifengeräuschkontrolle mit Zweischicht‑Struktur

Versuch ①: Rohrversuch

  • Fig. 1 zeigt die Rohr­anordnung: Der Lautsprecher regt an, hinter dem Absorber wird der Schalldruck per Mikrofon gemessen (rigide Endbedingung). Bei L = 43 cm wurde eine größere Absorption als prognostiziert beobachtet. Interpretation: Die große Dicke (mit dahinterliegendem Luftspalt) wirkt quasi zweischichtig und erzeugt im Tiefton einen Geschwindigkeitsbauch (Maximum).
  • Fig. 2 belegt: ΔSPL liegt für 43 cm über der Ein‑Schicht‑Vorhersage.
[Versuch ①: Rohrversuch(Naoko Yorozu, Chie Fukuhara, Takanobu Kamura: „Entwicklung einer Absorptionstechnik für Reifengeräusche“, Mazda Giho (2008))]

Versuch ②: Modellraum (Zweischicht)

Aus dem Rohrversuch abgeleitet, wurde ein zweischichtiges Kabinenmodell untersucht (Fig. 8–9). Ergebnis: SPL‑Abnahmen um 250–500 Hz, korreliert mit der Änderung der Partikelgeschwindigkeitsverteilung an der Oberfläche; damit wurde der Tiefton‑Absorptionsmechanismus verifiziert. 

[Versuch ②: Modellraum (Zweischicht)(Naoko Yorozu, Chie Fukuhara, Takanobu Kamura: „Entwicklung einer Absorptionstechnik für Reifengeräusche“, Mazda Giho (2008))]

Fahrzeuganwendung

In Fig. 12, 14, 17 wird die Umsetzung im Fahrzeug gezeigt: Der Himmel (Headliner) wurde zweischichtig ausgeführt. Messungen der Partikelgeschwindigkeit und Laser‑Vibrometrie belegen eine Reduktion des Reifengeräuschs. Ein weicherer Headliner (A) ermöglicht – durch höhere Beweglichkeit plus Dämpfung – größere Oberflächen‑Partikelgeschwindigkeiten, damit mehr interne Dissipation und geringere SPL, als ein steiferes Bauteil (B).

[Verifikation: Fahrzeuganwendung: Der zweischichtige Himmel (Naoko Yorozu, Chie Fukuhara, Takanobu Kamura: „Entwicklung einer Absorptionstechnik für Reifengeräusche“, Mazda Giho (2008))]

Zusammenfassung

  • Theorie: An der starren Wand gilt die (lambda/4)-Phasenbeziehung; am Geschwindigkeitsbauch (maximal) platzierte poröse Absorber maximieren die Absorption. Für den Tiefton ist die nötige Dicke jedoch oft unrealistisch.
  • Design: Daher Zweischicht‑/Resonanz‑Konzepte (Masse–Feder–Dämpfung), die Geschwindigkeit erzeugen und Tiefton mit schlanken Strukturen adressieren.
  • Material: Thinsulate (3M) als mikrofaseriger, leichter Absorber ist besonders für Mittel/Hochfrequenzen wirksam.
  • Verifikation: Mazda zeigt, dass sich mit weichem Abschluss + Zweischicht in Z‑Richtung ausreichend Partikelgeschwindigkeit erzeugen und Reifengeräusche im Fahrzeug senken lassen.

Literatur

  • Frank Fahy, Foundations of Engineering Acoustics, Academic Press (2000)
  • David Thompson, University of Southampton, ISVR, Lecture Note Noise and Vibration Control I
  • Naoko Yorozu, Chie Fukuhara, Takanobu Kamura: „Entwicklung einer Absorptionstechnik für Reifengeräusche“, Mazda Giho (2008)
  • Technische Unterlagen zu 3M Thinsulate

Begleitvideo

Zur anschaulichen Vertiefung steht ein Erklärvideo bereit:

YouTube – Akustik für einen leisen Fahrzeuginnenraum: Von der Wellengleichung bis zur Mazda‑Fallstudie. 

Tags:

No responses yet

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

CAPTCHA